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(sprachliche) Bildung geht nicht im Alleingang - Kinder brauchen Unterstützung

Kommentar:Und wieder zeigt die PISA Studie: Bildung in Kitas braucht mehr Aufmerksamkeit

Datum:
1. Feb. 2024
Von:
Ann Kathrin Jung

Ein Kommentar von Ann Kathrin Jung - Referentin Sprachkitas

Liebe Kitas,

ich möchte hier in Form eines Kommentars nicht nur Fakten, sondern auch meine Meinung transportieren.

Mein Name ist Ann Kathrin Jung und ich bin seit dem 01.06.2023 als zusätzliche Fachberatung im Landesprogramm Sprache beim Caritasverband für die Diözese Mainz e.V. tätig. Ich habe Sonderpädagogik studiert und arbeite seit 2011 in unterschiedlichsten Kontexten in Kitas und Schulen und habe seit 2019 eigene Kinder im „Bildungssystem“. Somit betrifft mich die PISA Studie und die gesamte Entwicklung im Bildungsraum Deutschland auf vielen verschiedenen Ebenen.  Und wissen Sie was, ich kann nicht mehr damit aufhören den Kopf zu schütteln.

 

Beginnen möchte ich damit, dass im Rahmen des Bundesprogramm Sprachförderung darauf hingewiesen wird, dass Bildung in den ersten sechs Lebensjahren eines Menschen die größten Auswirkungen auf das gesamte restliche Leben hat. Also nicht erst mit Eintritt in die Schule.

Sie, als pädagogische Fachkräfte, Sie (!) im Bereich der frühkindlichen Bildung legen innerhalb des Systems den entscheidenden Grundstein für die weitere Laufbahn ihrer Schützlinge - zum Teil bereits bei Kindern unter einem Jahr.

Familien werden immer stärker in die doppelte (Vollzeit)Berufstätigkeit gezwungen, da ein Lebensunterhalt in den heutigen Zeiten nicht von einer Person verdient werden kann (mit Ausnahmen natürlich). Das bedeutet nicht nur, dass Kinder viel früher und viel länger betreut werden müssen, sondern auch, dass die pädagogischen Fachkräfte neben dem Bildungsauftrag auch einen Erziehungsauftrag sowie eine Bandbreite an emotionaler und familiärer Arbeit an den Kindern erbringen.

All diese Aufgaben sind in den letzten Jahren so extrem angestiegen, dass wir heute sehen: Ohne eine grundlegende Umstrukturierung des Konzepts Krippe/Kita/Schule zu Bildungs- und Familienorten verlieren wir unsere wichtigste Ressource im Land - DIE KINDER!!!

Von diesen gesellschaftlichen Herausforderungen abgesehen, ist die Bildungslandschaft in Deutschland mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Corona, Home-Schooling, neue Medien - die in der Familie Absprachen und soziales Miteinander ersetzen - sowie gesellschaftliche Herausforderungen wie Geflohene aus verschiedensten Ländern und unterschiedlichsten traumatischen Schicksalen.

Dabei schwinden die Fachkräfte und an weniger Personal bleibt – meist unbemerkt - mehr Arbeit hängen. Darunter leiden in erster Linie die Kinder. Doch diese spüren den Missstand erst viel später im Leben, im Gegensatz zu Ihnen als Ansprechpersonen und Verantwortliche in den Einrichtungen. Sie erleben frustrierende Tage, an denen Sie wieder nicht zu dem gekommen sind, was Sie sich vorgenommen haben. Sie erleben verzweifelte Eltern, denen Sie den Kita-Platz verweigern müssen, da sie bereits überbelegt sind. Sie sehen sich und Kolleg/innen vor einer Flut an vorher nie da gewesener Arbeit und Aufgaben, Bürokratie und Sprachbarrieren.

Auch die Eltern erleben diesen Missstand unmittelbar. Sie müssen mit eingeschränkten Öffnungszeiten leben, wenn sie überhaupt einen Betreuungsplatz bekommen haben. Bei einigen Eltern hängt die Existenz am Kita-Platz und wenn die Kita aus Personalmangel schließen muss, wird es für diese Eltern bedrohlich. Auch dies kann für Sie als Leitung oder Mitarbeiter/in einer Kita emotional sehr belastend sein.

Ist das unsere Perspektive in einem so weitreichend industrialisierten und eigentlich auch fortschrittlichen Land?

Wissen Sie, was mich optimistisch sein lässt? Das sind Sie! Jede einzelne pädagogische Fachkraft. Denn Sie machen diesen Job, Sie stellen sich der Herausforderung und versuchen mit aller Kraft das Beste für die Kinder zu geben.

Die Politik können wir leider nicht dazu bewegen, schnelle Entscheidungen zu treffen, doch ich kann Ihnen etwas mitgeben, was Ihnen für den Alltag hilfreich sein kann und Sie in Ihrem Tun und Begleiten der Kinder bestärkt, unterstützt und Ihnen etwas von dem Druck nimmt, der oft auf Ihnen lastet:

Nehmen Sie sich noch ein paar Minuten Zeit und lesen Sie, was ich Ihnen über alltagsintegriere sprachliche Bildung und Begleitung mitgeben möchte.

Das Bundesprogramm Sprach-Kita „Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ nimmt Bezug auf Forschungsberichte der umliegenden Länder und stellt klar, dass es nicht immer Sprachförderung in Kleingruppen oder der Einzelförderung bedarf. Sprachförderung zeigt sich am erfolgreichsten, wenn die Qualität und Quantität der Sprache innerhalb der Peergroup vorliegt und Sprache im Zusammenhang des gemeinsam gerichteten Interesses gefördert wird. Was bedeutet das konkret für Sie?

Schauen Sie sich Ihre Einrichtung an: Wie können Sie die Gruppen so gestalten, dass die Kinder möglich viele gute Sprachvorbilder haben? Ich bin mir bewusst, dass es Einrichtungen gibt, die dies strukturell nicht gewährleisten können. Dennoch kann ich Sie nur dazu ermutigen, es einmal auszuprobieren und zu überlegen, wie Prozesse und Gruppen dahingehend optimiert werden können. Für wen, wenn nicht Sie, ist die kreativen Umgestaltung und flexible Haltung der Alltag? 

Eine weitere Empfehlung ist: Schenken Sie als pädagogische Fachkraft dem Kind - jedem einzelnen - einen winzigen Moment. Einen Moment, in dem Sie es sehen und ihm dies auch rückmelden. Sei es ein kurzer Blickkontakt mit einem Lächeln in Ihrem Gesicht, wenn das Kind in Ihrer Einrichtung ankommt oder ein kleines Lächeln zwischendurch im sonst so hektischen Alltag.

Begleiten Sie, was das Kind gerade tut mit Sprache. Im Spiel, beim Entdecken, beim Essen, bei der Pflege und versuchen Sie dabei den Stress vor und nach dieser kleinen Situation zur Seite zu schieben. Dieser kleine Moment gehört dem Kind oder den Kindern, dem/denen Sie gerade aktiv Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken. Das bedarf Übung und Unterstützung durch alle Ihre Kolleg/innen. Aber der Effekt wird schnell spürbar sein. Benennen Sie die Dinge und bringen Sie die Kinder miteinander in Kontakt. Es braucht nicht immer die großen, gut durchgeplanten Projekte. Wenn Sie diese anbieten können, prima! Sprachliche Begleitung im Alltag und ein zugewandtes Verhalten der pädagogischen Fachkraft kann die Sprachentwicklung mindestens genauso gut unterstützen, wie eine Förderung von geplanten Kleingruppen. Zumal diese mit dem Thema oft am Interesse des Kindes vorbeigehen und somit ganz viel Kapazität und Aufnahmefähigkeit der Kinder vergeudet wird.

Ihre Aufmerksamkeit und Ihr aufrichtiges Interesse in diesen kleinen Momenten weckt das Gehirn der Kinder auf und macht es aufnahmebereit. So kann das Kind sich ganz anders mit seiner Umwelt auseinandersetzen und Inhalte besser verinnerlichen. Vor allem bei Kindern, die Deutsch im Zweitspracherwerb sprechen lernen, sind die Fortschritte größer, wenn das Kind sich im Austausch mit den anderen Kindern sicher, gut begleitet und gesehen fühlt.

Ihre Haltung zum Kind macht Ihre Arbeit Tag für Tag aus. Diese positive und zugewandte Haltung beizubehalten ist der Schlüssel, diese schwierige Zeit zu überstehen. Erlauben Sie sich selbst durchzuatmen und nehmen Sie sich den Druck, etwas „Sichtbares“ mit den Kindern zu machen. Das ist kein Kriterium für die Qualität Ihrer Arbeit. Ihre Haltung ist jedoch sehr wohl ein Kriterium für die Qualität Ihrer Arbeit. Daran wollte ich Sie in diesem Beitrag erinnern. Sie leisten Vieles und viel Gutes. Abschließend möchte ich Ihnen im Sinne Ihrer Gesundheit mit auf den Weg geben: Weniger ist manchmal mehr und achten Sie gut auf sich. Fällt es schwer, versuchen Sie zu lächeln, auch wenn es sich komisch anfühlt. Wenn Sie dann jemand anderen anlächeln und ein Lächeln zurückbekommen, fühlt es sich schon gleich viel besser an.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen guten Start ins neue Jahr.

P.S.: Wenn Ihnen dieser Kommentar gefallen hat, können Sie jetzt in jedem Kita Newsletter einen kleinen Kommentar von mir lesen, in denen ich auch jedes Mal das Thema sprachliche Begleitung in Kitas aufgreifen werde. 😀